NeueMusikZeitung DeutscherTonKünstlerVerlag September 99

WIE WIRKT MUSIK AUF DAS MENSCHLICHE GEHIRN ?
Über zwei Fernsehbeiträge. Bericht von Brigitte Langnickel-Köhler

Menschen, die ein Instrument lernen, so haben Forscher jetzt herausgefunden, verbessern damit oft ihre Intelligenzleistungen. Wer ein Instrument spielen lernt, schult damit auch sein logisches und mathematisches Denken.

In der ersten Julihälfte waren zwei hochinteressante Sendungen über die Auswirkung der Musikerziehung auf die Entwicklung des menschlichen Gehirns zu sehen:
auf "arte" in der Serie: Intelligenz nach der Geo-Reportage von Martin Meister der Beitrag "Musik macht klug", ein Film von Michael Richter, im Bayrischen Rundfunk in der Reihe Familienzeit: Gesund, klug und glücklich - die Kraft der Musik, eine Sendung von Wolfgang Binder. Ich fasse hier die Inhalte und Ergebnisse der beiden Sendungen zu diesem Thema zusammen
Die beiden zu untersuchenden Fragen waren:
1. Können Kinder, die ein Instrument lernen, darauf bauen, schlauer durchs Leben zu gehen,
besser zu rechnen, schneller Sprachen zu lernen?
2. Unterscheidet sich - und wenn, wie- das Gehirn von Musikern von dem Nichtmusizierender?

Prof. Hans Günther Bastian, Musikpädagoge, möchte Kinder so früh wie möglich für Musik begeistern, da die intensivste Wirkung von Musikerziehung bei relativ kleinen Kindern zu erzielen ist. H.G. Bastian unterzog 8-9 jährige Schüler einem Musikalitätstest, anschließend einem individuellen Intelligenztest, in dem es um Abstrahieren und gleichzeitiges Herstellen von Verknüpfungen ging. Nach der Auswertung weisen seine bisherigen Forschungsergebnisse darauf hin, dass musikalische Kinder häufig bessere Werte aufweisen. Ihre kognitiven Leistungen sind in der Regel besser, als die ihrer Altersgenossen.
Diese Kinder weisen höhere Intelligenzquotienten auf. Welche Rolle spielt dabei das Erlernen eines Instrumentes?
Für H.G.Bastian sind solche Ergebnisse kein Zufall. Sein Hauptinteresse gilt dem Zusammenhang zwischen Instrumental- spiel und der Intelligenzentwicklung der Kinder.
In einer Langzeitstudie wurden ganz normale Kindern ohne musikalische Vorbildung aus dem Arbeiterbezirk Berlin Wedding, hoher Ausländeranteil, aus Familien ohne kulturellen background getestet. Diese Kinder im "Reinzustand" wurden über einen Zeitraum von 6 Jahren mit intensiver, erweiterter musikalischer Erziehung beglückt d.h., 2 Wochen- stunden Musikunterricht in der Schule, dazu lernten sie ein Instrument und spielten außerdem in Instrumentalgruppen zusammen, um zu sehen, wie nun nachzuweisen ist, welche Effekte tatsächlich der Umgang mit Musik mit sich bringt.
In Los Angeles machten Forscher der University of California ebenfalls solche Studien in Vierteln mit ausdrücklich nichtpriviligierten Kindern, um der Kritik zu begegnen, nicht das Instrumentalspiel beeinflusse die Intelligenz der Kinder, sondern die Familie und das gesamte Umfeld seinen dafür verantwortlich.
Beide Studien kommen zu dem Ergebnis: Musikalisches Training fördert bestimmte Komponenten der menschlichen Intelligenz, wie räumlich-zeitliches Vorstellungsvermögen = Grundlage für mathematisches Denken.
Musik spielt die entscheidende Rolle bei der Entwicklung der Hirnrinde, weil sie die Nerven so anregt, dass die Kinder ganz allgemein im Stande sind, in räumlich-zeitlichen Kategorien zu denken.
Räumliches Vorstellungsvermögen ist eine Voraussetzung für abstraktes Denken, einem Bestandteil der menschlichen Intelligenz. Ausgangspunkt der These der Los Angeles- Studie (in der der Instrumentalunterricht Mittel zum Zweck ist): Musik dient dazu, das räumliche Vorstellungsvermögen zu verbessern und in abstrakten Begriffen zu denken.
Schon das Hören von klassischer Musik für etwa 20 min. verbessert das räumliche Vorstellungsvermögen.
Durch das Erfassen von Notenwerten wird ganz früh die Grundlage zum Bruchrechnen gelegt. Die Leistungen der Kontrollkinder mit Instrumentalunterricht sind um 25 % besser.
Prof. Bastian: Die Musik stellt eine Schlüsselintelligenz dar, weil vom Potential der Musik sehr viel ausstrahlt, ausfließt auf andere Bereiche an Kreativität, schöpferischem Denken, Bewegung, usw.

Ein Instrument zu spielen ist eine der komplexesten menschlichen Tätigkeiten. Schon bei einfachen Stücken, die vom Blatt gespielt werden, werden Fähigkeiten der Motorik des Intellekts und der Sinne beansprucht: präzise Koordination beider Hände, ausgeprägte Feinmotorik, räumliches Vorstellungsvermögen, um sich auf dem Instrument, einem räumlichen Gebilde, zurecht zu finden. Abstraktes und komplexes Denken sind gefordert. Wer ein Stück vom Blatt spielt, betätigt sich vorausschauend und nachhörend unter den extremsten Bedingungen der Ungleichzeitigkeit.

Im Institut für Musikphysiologie Hannover geht man der Frage nach, was in Gehirnen von Musikern anders ist.
Wenn Musik intelligenter macht, müssten die Gehirne von Musikern doch irgendwie anders aussehen.
Bei einer Studentin und angehenden Pianistin werden die Gehirnströme während des Vortrags gemessen und auf dem Monitor sichtbar gemacht. Die Hirnstrommessung dient dazu , beim Spielen besonders aktive Hirnregionen ausfindig zu machen.
Prof. Altenmüller, Mediziner und Musiker, beobachtet die Pianistin, deren Gehirnströme die typischen Merkmale professioneller Musiker aufweisen. Umfangreiche Hirntätigkeit in Bereichen außer im Schläfenlappen (für Hörverarbeitung zuständig wie bei Nichtmusizierenden) auch in der sensomotorischen Zentralregion, wo die Handbewegung repräsentiert ist, sind zu sehen.
Instrumentalspiel fördert aber nicht nur Vernetzungen im Gehirn. Teile des Gehirns vergrößern sich sogar, wenn der Instrumentalunterricht früh genug einsetzt. Die stärksten Phänomene treten auf wohl vor dem Alter von 8-9 Jahren. Wenn musikalisches Training schon sehr früh beginnt, lässt sich zeigen, dass die Hirnrinde selber sich verändert.
Später treten auch noch Effekte auf, auch noch mit 80 Jahren
, natürlich sind die dann nicht mehr ganz so dramatisch.
Prof. Dr. Hermann Rauhe, Direktor der Musikhochschule Hamburg:
Musiker nutzen ihr Gehirn viel differenzierter und effektiver als ein normaler nichtmusizierender Mensch, denn die ganzen Vorgänge der Tonbildung ob auf Streich- oder Blasinstrument erfordern ein unheimlich schnelles Vorausdenken. Dieses Training ist genau das, was wir brauchen für die Gehirnfunktionen.
Also, das beste was ein Mensch tun kann, um eine effektive Persönlichkeit zu werden ist, dass er Musik macht.
Es muss dabei gar nicht um Höchstleistungen gehen, und niemand muss glauben, der Zug ist abgefahren .
Prof. Rauhe: Man kann mit 85 Jahren anfangen ein Musikinstrument zu lernen und dabei stellen wir fest, dass die Gerhirnzellen, die bisher schon reduziert waren, wieder völlig regeneriert werden. Das heisst, das Musik machen ist eine Form des Gehirnjogging. Das macht nicht nur Spass, sondern dient der Wiederherstellung der Gedächtnisfähigkeit, Kombinationsfähigkeit, Wahrnehmungsfähigkeit.


Die Konzentration auf das Spiel und die Umsetzung der Notenschrift ist das eine, die Entfaltung der Gefühle, der Empfindungen, der Phantasie ist das andere.
Nicht nur kognitives, räumliches, abstraktes Denken werden offensichtlich durch den Katalysator Musik verbessert, ein Instrument zu spielen bedeutet auch, ein Ventil für die eigenen Gefühlen zu haben. Es bedeutet, besser zuzuhören und intensiver in sich selbst hinein zuhören. Die Kinder lernen, sich selbst im Verhältnis zu anderen zu sehen, und dass ihre Fähigkeiten nicht vom Himmel fallen. Die Vorleistung des häuslichen Übens muss unumgänglich erbracht werden.


-----------
Die Hände: 54 Knochen und 48 Muskeln befähigen zu Bewegungen in 22 Richtungen.
Die Hände sind als Greifer und Sinnesorgane hoch sensibel und belegen die Hälfte der im Gehirn zur
Verfügung stehenden Speicherkapazität für Motorik.
Sämtliche anderen Körperteile müssen sich für ihre Bewegungen mit dem Rest begnügen.
aus: BROCKHAUS! GANZ SCHÖN MERKWÜRDIG



zurück